Blutauffrischung von Außen - Die Einkreuzung des Samojeden
Charlotte Baldamus verfolgte dagegen im Jägerhof konsequent die Methode B (Inzestzucht). Geübt durch ihren Beruf, hatte sie einen sicheren Blick für die richtigen Tiere. Dieser Selbstständigkeit stand Wipfel, der die Fäden nicht aus der Hand geben wollte, anfangs skeptisch gegenüber. Es dauerte wohl eine Weile bis er begriff, was er an der Geflügelzüchter-Meisterin vom Mittelberg hatte. Bald setzte man Jägerhof-Tiere breit ein - ja sogar zu breit: "Droll vom Jägerhof" wurde von 1967 bis 1971 mit wenigen Ausnahmen als einziger Deckrüde genutzt - zur "Vereinheitlichung des Typs" wie man damals sagte, was den Inzuchtkoeffizienten der jungen Rasse dramatisch hochschnellen ließ.
Hinzu kam, dass viele Zwinger mit Jägerhof-Tieren gegründet wurden. Julius Wipfel wandte sich in dieser Zeit an das Institut für Tierzucht und Haustiergenetik der Universität Göttingen woraufhin ihm Frau Prof. Dr. Ruth Gruhn empfahl "..recht bald zu einer entfernteren Verwandtschaftsverpaarung zu kommen". Sie ging in ihrem Rat, der im Wesentlichen auf der verbesserten "Methode A" basierte, davon aus, dass immer noch sechs getrennte Zuchtlinien bestehen - was real längst nicht mehr der Fall war. Aber auch dieser neue Plan war nicht einzuhalten. So ergab sich die dringende Notwendigkeit einer Blutauffrischung von außen. Julius Wipfel hatte bereits 1964 für eine Einmischung des Samojeden geworben (Zuchtausschusstagung v.19.1.1964). Bis zum April 1965 hatte man jedoch noch keinen geeigneten Samojedenrüden gefunden und man spielte sogar mit dem Gedanken - gewissermaßen als Notlösung - einen Deutschen Schäferhund einzumischen, was jedoch unterblieb. Die geliebte Samojeden-Idee konnte Wipfel erst 1972 verwirklichen - mit wenig Begeisterung in Mittelberg: Für Charlotte Baldamus, die unbeirrt bei Ihrer Methode blieb, war es noch zu früh um weitreichende Experimente durchzuführen, bevor man nicht genug über die eigenen Hunde weiß. Viel lieber wäre es ihr gewesen, brauchbare Tiere aus anderen Inzuchtlinien zu haben, um den Genpool auf diese Art zu erweitern. Aber da war nichts zu holen. Mehr als 90% aller verfügbaren Zuchttiere führten irgendwo in den ersten Generationen Jägerhof-Blut.
Eine neue Figur betrat das Spielfeld der Eurasierzucht: Eines Tages, es muss im Januar 1970 gewesen sein, meldete sich ein junger Mann, Werner Schmidt, als Welpeninteressent in Mittelberg. Mit Begeisterung hatte er 1963 das Buch "Er redete mit dem Vieh…." und "So kam der Mensch auf den Hund" gelesen und es reifte der Wunsch, einen Hund wie Stasi zu besitzen. 1965 hatte er noch bei Konrad Lorenz im Max Planck-Institut, Seewiesen, die Nachfahren solcher Hunde gesehen, ebenfalls in Altenberg ein Jahr später. Doch der Diplom-Biologe musste erkennen, dass die Lorenz´sche Zucht nicht weiterging. 1969 las er in Eberhardt Trumlers Literatur erstmals etwas über den Wolfs-Chow. So kam er über den Kynologen Trumler (ehem. Berater und Ehrenmitglied der ZG) und Wipfel zu Frau Baldamus in Mittelberg. Als er damals Cara und Jerry sah, war ihm klar: Das ist der gesuchte Hund und er bestellte sich gleich einen Welpen von Cara, die den nächsten Wurf haben sollte. Baldamus: "Ich sah sofort, dass er von den Hunden fasziniert war". Exkurs: Konrad Lorenz und die Eurasier
Werner Schmidts erste Hündin war "Lotus vom Jägerhof". Als Schmidt 1972 Doktorand bei Konrad Lorenz wurde, lernte dieser seine Hündin kennen und war ebenfalls sofort begeistert. "Sie erinnert mich an meine Stasi, zum verwechseln ähnlich. So einen Hund will ich haben". Da sich Lotus beim ersten Versuch nicht decken ließ, holte er sich 1972 eine schwarz-marken-farbige Hündin "Nanette vom Jägerhof", die er "Babett" nannte und die er später als die "charakterlich beste Hündin bezeichnete, die er je besessen hatte". Man mag sich vorstellen, welche Überraschung und was für ein Gefühl es für Charlotte Baldamus war: Konrad Lorenz, dessen Schriften, Gedanken und Erfahrungen ihr stets als Leitfaden dienten, bestellt ausdrücklich eine Hündin aus IHRER Zucht und stellt diese in seiner späteren Beurteilung sogar über alle anderen Hunde, die er jemals besessen hatte!
Hier schließt sich der Kreis: Konrad Lorenz wurde von seiner eigenen Idee eingeholt. Er wusste von der neuen Rasse "Eurasier" bisher absolut nichts! Was nun hatte Konrad Lorenz mit dieser Rasse zu tun? Alles? Oder Nichts?
Konrad Lorenz holte seine Hündin, wie sich das gehört, selbst bei der Züchterin ab und es entstand ein langjähriger,
freundschaftlicher Gedankenaustausch und Briefwechsel. Nur mit dem Körperbau seiner "Babett"
war Herr Professor nicht ganz zufrieden, wie er schrieb: "Ich möchte furchtbar gerne probieren einen
Schuss Husky-Blut in unsere Hunde hineinzuzüchten. Chow und Wolfspitz machen unsere Tiere zu ringelschwänzig. Babett's Popo ist zwar liebenswert und komisch, aber nicht ernst genug für einen Hund, der vorne einem Wolf ähnelt."
Im Gegensatz zu Konrad Lorenz war Julius Wipfel von der "Samojeden-Idee" überzeugt. Aber zum Zeitpunkt dieser Diskussion war der Samojede sowieso schon mehrfach eingekreuzt. Auch Dr. Werner Schmidt war ein Befürworter der Neueinmischung, die er als Biologe natürlich mit anderen Augen sah als Wipfel und Baldamus.
Der Samojedenrüde "Cito vom Pol" (alias "Orion von der Bergstraße") wurde von 1972 bis 1977 in folgenden Würfen eingesetzt:
• C vom Stechersee WT 27.03.1972
• A vom Römerturm 25.08.1972
• D vom Stechersee 11.10.1972
• A vom Birkenbruch 28.11.1972
• A vom Urdbrunnen 15.06.1973
• A vom Hasenleiser 24.02.1974
• K vom Stechersee 12.02.1976
• L vom Stechersee 11.04.1977.
Das war sicher der größte Einschnitt in der frühen Eurasierzucht.